Die Bahnindustrie war wegen hohen Sicherheitsanforderungen bisher noch nicht so innovativ wie die Telekommunikationsindustrie. Dank der Digitalisierung kann man die Bahn noch wettbewerbsfähiger und sicherer machen. Der technische Fortschritt durch die Digitalisierung ermöglicht einerseits die Einführung des Zugleit- und Sicherungssystem ETCS Level 3 und andererseits können die Züge autonom fahren, was unter dem Begriff ATO – Automatic Train Operation – zusammengefasst wird. Das Thema ist sehr aktuell und gerade erst kürzlich hat die NZZ am Sonntag ein Interview mit dem Chef von Siemens Mobility publiziert. Dabei wurde erwähnt, dass die Kapazität auf fast allen Schienennetzwerken – auch in der Schweiz – um ca. 30% erhöht werden kann.
Durch ETCS Level 3 (European Train Control System) werden engere Taktabstände realisierbar, wodurch mehr Züge auf dem Bahnnetz fahren können. Das Angebot könnte folglich ohne Infrastrukturausbauten erhöht werden. Das bringt noch weitere Vorteile für den Bahnkunden: Durch die Möglichkeit von mehr Zügen, können kürzere Züge eingesetzt werden, wodurch die Fusswege in den Bahnhöfen kürzer werden. Dadurch ergeben sich an den Bahnhöfen kontinuierlichere Passagierströme, weshalb auf den Passarellen weniger Gedränge stattfindet. Durch die engeren Taktabstände wird das Angebot an Plätzen vergrössert, wodurch Ein- und Aussteigen schneller geht und der Aufenthalt in den Bahnhöfen verkürzt wird. Bedingt durch ETCS Level 3 können mehrere Züge am gleichen Bahnsteig anhalten, wodurch einerseits ein schnelleres Umsteigen möglich wird und andererseits andere Züge durchfahren können und somit eine Knotenentlastung stattfindet ohne Ausbauten. Auch weiss man durch ETCS Level 3 immer die exakte Position der Züge und kann dem Bahnkunden in Echtzeit Informationen über die Anschlüsse auf seinem Handy-Display anzeigen. Somit ist der Bahnkunde über die genaue Ankunftszeit der Züge informiert und die Intermodalität wird so vereinfacht. Ob in Zukunft – dauert sicherlich noch 30 Jahre – Bahnwagen innerhalb von ein bis zwei Minuten aneinandergekoppelt werden können, wird sich zeigen. Dadurch könnten Verbindungen realisiert werden, welche bisher aufgrund einer zu geringen Wirtschaftlichkeit nicht sinnvoll waren.
Durch autonomes Fahren kann Zeit und Energie eingespart werden, da bei Durchfahrten, die heute zwei Minuten dauern, autonome Züge 30 bis 40 Sekunden einsparen. Dadurch passen mehr Züge durch die Nadelöhre. Das System berechnet, wann z.B. ein Güterzug bei einem Knotenpunkt eintreffen muss, damit er diesen ohne Stopp durchfahren kann. Dann bringt die Elektronik den Zug auf die optimale Geschwindigkeit. Weil er nicht anhalten muss, verursacht er keinen Stau auf den Schienen. Und weil fahrerlose Züge nicht dauernd bremsen und beschleunigen, sparen sie auch bis zu 30% Energie. Es gibt heute Sensoren, die ähnlich genau sind, wie das menschliche Auge. Trotzdem würde es zu Fragen führen, wenn bespielweise ein führerloser Zug auf ein Auto auffahren würde. Es sollten als weiterhin Lokführer an Board bleiben, die die Signale auf dem Bildschirm und das Umfeld via Kameras überwachen und als Ansprechperson fungieren. Autonome Züge können auch schneller wenden, da kein Lokführer den Führerstand wechseln muss. In einem Zwischenschritt wäre auch denkbar, dass ein Lokführer via Kamera und Sensoren den Zug vom hinteren Führerstand aus steuern kann.
Im Januar 2020 fuhr Siemens Mobility nachts an vier Testwochenenden auf einer Strecke der SBB führerlos. Die Züge hielten wie geplant an den Bahnhöfen und die Türen wurden durch die Software automatisch geöffnet. Das System funktionierte nach Aussage des Siemens Mobility Chef effizienter. Damit das System umgesetzt werden kann, müssen alle Züge auf dem Schienennetz autonom fahren. Das funktioniert nur, wenn in Europa ETCS installiert ist. ETCS wird die Systeme der Länder miteinander harmonisieren. Die Bahnunternehmen haben auch eine Aufgabe: In Europa braucht es mehr Standardisierung. Als aktuelles Beispiel wird Siemens Mobility die nächsten Jahre das ganze Bahnsystem in Norwegen digitalisieren. Danach kann jede Weiche des Landes aus einem einzigen Kontrollzentrum in Oslo gesteuert werden. Dadurch wird das System um Grössenordnungen effizienter. Wir möchten in den folgenden Beiträgen die Chance der Digitalisierung auf das Bahnsystem des Dreiländerecks aufzeigen.